paul&buchhandlungZytglogge – Begegnung in Bern
Es ist ausnahmsweise ein richtig schön sonnig-warmer Tag in der Berner Altstadt. Ich bin auf dem Weg zu Gabriela Bader in die Buchhandlung zum Zytglogge. Meral Kureyishi hat mich auf meiner Suche nach Begegnungsorten hier hin geschickt. Für mich ist die kleine Buchhandlung in der Hotelgasse seit jeher ein kleines Paradies, der unzähligen, noch zu lesenden Geschichten. Entsprechend freue ich mich, den Laden einmal unter einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten, dem des Begegnungsorts. Wer und was begegnen sich in einer Buchhandlung eigentlich?
Des schönen Wetters wegen, findet das Gespräch schliesslich nicht zwischen Bücherregalen, sondern in Gabrielas zweitem Wohnzimmer, der Lesbar statt. Seit 2016 leitet Gabriela die Buchhandlung zum Zytglogge. Dass sie die Buchhandlung übernommen habe, sei eine glückliche, aber unerwartete Fügung gewesen. Mit dem Gedanken, Buchhändlerin zu werden, habe sie schon lange gespielt, aber der Weg führte Gabriela beruflich in andere Richtungen. Ein freiwilliges Engagement an der Leipziger Buchmesse führte dann zu einer Begegnung mit Gurli Jensen, ihrer Vorgängerin, die ihr spontan ein Praktikum und später die Übernahme der Buchhandlung anbot. Das sei das Schönste und Beste, was ihr neben ihren Kindern in ihrem Leben passiert sei, meint Gabriela, denn es sei ein Begegnungsort zwischen Menschen und Geschichten.
„Diese Buchhandlung ist das Beste und Schönste, was mir neben meinen Kindern passiert ist, eben weil es ein Begegnungsort zwischen Menschen und Geschichten ist.“
Gabriela Bader
Auch nach fünf Jahren ist Gabriela immer wieder aufs Neue beeindruckt, welche Begegnungen und Interaktionen in dem kleinen Laden zustande kommen: „Menschen, kommen mit ihrer eigenen Geschichte in einen Laden voller Geschichten, die von anderen Menschen geschrieben wurden. Gleichzeitig sind wir als Team mit unseren Erfahrungen – Leseerfahrungen wie Lebenserfahrung – da. Auf engem Raum kommt da sehr viel zusammen.“ Es treffen sich Freundinnen und Freunde. Bekannte, die sich schon lange nicht mehr gesehen haben, sehen sich in der Buchhandlung wieder. Es kommt zu Gesprächen unter Leuten, die sich noch gar nie gesehen haben, über Bücher, die ihnen besonders gefallen oder auch missfallen haben. Ab und zu beraten sich Kundinnen und Kunden gleich gegenseitig, das sei besonders schön. Diese ganze Interaktion, findet statt dank der Bücher. Gabriela erinnert sich in diesem Zusammenhang gerne an Peter Bichsels Aussage, wenn er zwei Menschen sehe, die sich umarmen, denke er, die hätten bestimmt das gleiche Buch gelesen.
Bücher verbinden und sie ziehen an. Die Buchhandlung ist ein Anziehungspunkt. Nicht selten beobachten Gabriela und ihre Kolleginnen aus dem Laden, wie Kinder ihre Eltern in den Laden ziehen. Generell blieben viele Leute vor dem Schaufenster stehen. Gabriela erklärt sich diese Anziehung durch verschiedene Faktoren. Es ist der Ort, seine Geschichte, vor allem aber die Bücher und deren sorgfältige Auswahl. Die fünf Buchhändlerinnen treffen diese Auswahl im Team. Das unterschiedliche Alter und die verschiedenen Hintergründe der Frauen spiele dabei eine wichtige Rolle, meint Gabriela. Jede bringe ihre eigenen Perspektiven und Vorlieben ein. Das nehmen die Kundinnen und Kunden wahr und schätzen es. Neben dem Inhalt legen die Buchhändlerinnen bei der Auswahl auch ein Augenmerk auf das Aussehen der Bücher. Es soll eine Gesamtatmosphäre entstehen im Laden, die einen willkommen heisse, gemütlich wirke und die Neugierde weckt. Ich finde das gelingt ihnen sehr gut – bei mir funktioniert es auf jeden Fall.
Die meisten Leute, die hier ein und aus gehen sind Stammkundinnen und Stammkunden. Viele davon seien bereits als Kinder mit ihren Eltern in das Geschäft gekommen. Für die gehöre der Laden zu ihrem Leben. Viele der Leute würden sich auch gegenseitig kennen – ein typisch, bernisches Phänomen, findet Gabriela, man begegne sich immer wieder in der Altstadt. Es sei schön, so zu arbeiten. Viele Kundinnen und Kunden begleitet sie und ihre Kolleginnen dadurch in verschiedenen Lebenslagen. Gerade aus Bücherbestellungen eröffnet sich den Buchhändlerinnen viel über die jeweiligen Interessen und Lebenssituationen. Bestelle ein älterer Stammkunde ein Buch über das Grosseltern werden, freut sie das, bestellt jemand ein Buch über Ernährung bei Krebs, gebe ihnen das zu denken. Ansprechen würden sie dies von sich aus nie. Das Vertrauen, welches ihnen durch ihre Kundschaft entgegen gebracht wird, bewegt Gabriela immer wieder. Als ich sie nach einer Begegnung frage, die ihr in besonderer Erinnerung geblieben ist, erzählt sie mir von einer jungen Frau, die auf Empfehlung in die Buchhandlung gekommen sei. Die junge Frau habe mehrere schwere Operationen hinter sich gehabt. Während dieser Zeit hätte sie nur Kitschromane lesen können und nun suche sie etwas, das die Seele nähre. Dass sie ihre Suche in die Buchhandlung zum Zytglogge geführt habe, empfindet Gabriela als unglaubliches Kompliment.
Begegnungsorte sind für Gabriela in jeder Stadt sehr wichtig für das Zusammenleben. Das sollten Orte sein, die einfach zugänglich sind. Öffentliche Schwimmbäder oder die Münsterplattform seien gute Beispiele für niederschwellige Begegnungsorte in Bern, wo man nichts konsumieren müsse. Grundsätzlich müsse man ja auch bei ihnen in der Buchhandlung nichts konsumieren, aber dennoch es brauche einen Zugang und einen Bezug zu Büchern. Apropos Zugang, dass und wie wir vom Zentrum Paul Klee auf die Bernerinnen und Berner zugehen finde sie super. Insbesondere, dass wir den Kontakt über die direkte Nachbarschaft hinaus suchen. Sie sei froh, dass es das Zentrum Paul Klee als Begegnungsort in Bern gebe.
Ihr persönlicher Begegnungsort, ihr zweites Wohnzimmer, wie sie sagt, ist eben die Lesbar wo wir gerade sitzen. Die Bücher ziehen sich bei Gabriela wie ein roter Faden durch den Alltag, sogar an ihren liebsten Begegnungsorten. Dass sie und ihr Team mit der Buchhandlung auch einen solchen Begegnungsort schaffen, sei ein beglückendes Gefühl, ein Privileg. Damit fasst sie in Worte, was ich schon mehrfach in diesen Gesprächen verspürt habe. Ich kenne das Gefühl selber auch. Begegnungsorte sind wichtig für uns alle und es ist schön, etwas dazu beitragen zu dürfen.
Fotos: Iris Krebs