
Begegnung im Quartier – paul@quartierarbeitStadtteilIV
Tote Ecken, Plätze die wir im Alltag leicht übersehen, finden sich in jedem Quartier. Unsere Entdeckungsreise führt uns an einen solchen Unort. Was dieser unsichtbare Ort mit der Quartierarbeit von Reto und Jana zu tun hat, erklären mir die beiden in dieser Folge von «Begegnung im Quartier».
Unser Treffpunkt ist die Sonnenhofterrasse. Wäre die Sonnenhofterrasse. Doch wo ist diese eigentlich? Zugegeben, im Stadtteil IV kenne ich mich nicht aus. Google ist keine Hilfe. Dem Namen nach zu urteilen muss sie sich in der Nähe des Sonnenhofspitals befinden. Und tatsächlich, dort treffe ich auf Reto Bärtsch und Jana Obermeyer, die Quartierarbeiter*innen des Stadtteils IV. Sie sind die einzigen Personen weit und breit. Ab und zu überqueren Passant*innen den kleinen Platz oder Hundehalter*innen führen ihren Liebling auf der Grünfläche aus. Die Sonnenhofterrasse ist eine Autobahnüberdachung, sie liegt am Schnittpunkt der Quartiere Freudenberg, Sonnenhof und Jolimont. Unter uns fahren Autos, vis à vis befindet sich das Spital. Der Park mit kleiner Baumallee, Pergola und Bänken ist seltsam langgezogen. Dieser Ort war einmal eine Strasse, dann hat man ihn zu einem Lebensraum umfunktioniert, erklärt mir Jana. Solche Projekte würden Sie sich im verkehrsgeplagten Stadtteilbezirk mehr wünschen.
«Ein Nicht-Ort wird dann zu Lebensraum, wenn er von Menschen angeeignet wird. Dafür muss man ihn zuerst einmal wahrnehmen.»
Reto
Reto und Jana fallen auf, denn die beiden tragen einen Tisch und meterweise Stretch- und Malerfolie in die Grünanlage. Sie inspizieren den Park und entscheiden sich für die Pergola. Dort klettern sie, stellen sich auf die Zehenspitzen und umwickeln die Pfeiler. Die Folie rahmt den Ort. Durch den Wind wird sie in Schwung versetzt. Sie fällt auf und genau das ist das Ziel. Das Ungewohnte lenkt den Blick auf einen Ort der sonst nicht wahrgenommen wird. Diese Art der künstlerischen Intervention haben die beiden Mitte August in einer internen Weiterbildung der VBG-Quartierarbeit getestet. Dabei erlebten sie selber wie es sich anfühlt einen Ort anzueignen. Einfach mal machen. Eine Gruppe hatte die Aufgabe ein Mittagessen für die Kolleg*innen zu zaubern und die Sonnenhofterrasse so zu gestalten, dass der Ort einladend wirkt. Quartierbewohner*innen sollten sich trauen dazu zu stossen. Sie gestalteten den Raum auch damals mit Folie, verteilten die Tische zum Essen und forderten Anwohner*innen mittels farbiger Zettel dazu auf mit ihnen zu interagieren. Es entstand etwas temporäres das aber deutlich sichtbar war. Die Irritation bot eine andere Art der Kontaktaufnahme mit Passant*innen. Manche Personen blieben mit fragenden Blicken stehen, häufiger kam es aber zu kurzen Gesprächen. Diese sind für die Quartierarbeit wichtig und sonst nicht leicht zu initiieren. Die Aktion im öffentlichen Raum bot eben einen solchen Einstieg. Und auch heute bleiben immer wieder Menschen stehen. Zwei Mädchen ziehen beim Velofahren ihre Köpfe ein, halten an und bestaunen das Konstrukt.
Berns Osten ist vielfältig – städtebaulich und sozial gesehen. Hier gibt es ein bemerkenswertes freiwilliges Engagement, das gerade während des Lockdowns deutlich wurde. In kürzester Zeit hatten sich flächendeckend mehrere Hilfs-Netzwerke gegründet. Dazu kommen mehrere freiwillig geführte Treffpunkte wie der «Träffer» und der «QTT», das zukünftige polyvalente Freizeithaus «Saalistock» in Wittigkofen, Initiativen wie der «Laden im Quartier» im Murifeld, diverse Familiengärten und das DOK-Angebot «SpielreVier», welche die Quartiere im Stadtteil IV bereichern. Statistisch gesehen wohnen im Stadtteil IV im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele ältere und sehr junge Menschen. Der Stadtteil ist aber auch stark vom Autoverkehr geprägt – 3,5 km Autobahnstrecke teilen das Quartier in mehrere «Inseln» die in sich geschlossen wirken. Quartiere die direkt an den grossen Strassen liegen (Muristrasse, Ostring) sind wenig attraktiv, dort wohnen Menschen die auf günstigere Mieten angewiesen sind. Im Durchschnitt bleiben hier viele auch nicht lange. Das sind genau die Quartiere, in denen Jana und Reto mit ihrer Arbeit den Kontakt zu den Bewohnenden suchen. Mit ihnen möchten sie Orte und Angebote gestalten, die das Leben schöner und einfacher machen. In der Sonnenhofterrasse sehen die beiden grosses Potenzial das bisher noch nicht ausgeschöpft wird und darum treffen wir uns hier.
«Die Quartierbewohner*innen könnten die Sonnenhofterrasse zu einem Begegnungsort machen. Sich den Raum vor Ort aneignen, möglichst häufig hierher zurückkehren sodass sich der Raum mit Leben füllt.»
Jana
Quartierbewohnerinnen könnten diesen Ort zu einem Treffpunkt machen. Einem Ort der Entspannung und Begegnung. Wie der Ort genutzt werden könnte, dazu fallen den beiden unzählige Ideen ein. Vom Treffpunkt für Jugendliche, über Fussball, Spielnachmittage, gemeinsame Mahlzeiten bis zum Boule-Tournier. Wichtig sei der Wohlfühlcharakter, so Reto, man muss sich «gerne an einem Ort aufhalten – alleine oder mit anderen und das ohne Konsumzwang». Was mit dem Park gemacht wird ist am Ende nicht von ihnen, sondern von den Bedürfnissen der Anwohnerinnen abhängig. Die Aufgabe der Quartierarbeit ist eher die einer Geburtshelfer*in, sie unterstützt Projekte; die Idee und Initiative kommt aber von den Menschen die hier wohnen.
paul&ich gefällt Reto und Jana. Die Herangehensweise der «Geh-Struktur», also dass man sich in die Lebenswelt der Menschen begibt, entspricht dem was in der Quartierarbeit seit langem gepflegt wird. So können Personen erreicht werden die noch keine Beziehung zum Zentrum Paul Klee haben. Sie wünschten sich, dass das ZPK noch besser mit Quartierbewohner*innen zusammenarbeitet und ihre Projekte unterstützt. Mit dem Landwirtschafts-Projekt Fruchtland hat das Zentrum Paul Klee Zugang zu einem Know-How das z.B. zur Mitgestaltung der Sonnenhofterrasse dienen kann – zum Beispiel im Rahmen eines Urban Gardening Projekts.
Weiter zu Soli3006
Jana und Reto schicken uns zu «SOLI3006» in der Schosshalde. Das Hilfs-Netzwerk ist bedingt durch Corona neu entstanden und möchte sich verstetigen.