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Von der organisierten Fest-Idee zum partizipativen Herbstfest – paul&ich aus der Aussenperspektive

Barbara Emmenegger, Soziologie und Raum, Zürich, 2022

Ziele einer Neupositionierung

Anstoss für paul&ich setzte der Migros-Pionierfonds (ehem. Engagement Migros) mit der Idee einer Neupositionierung des Zentrum Paul Klee. Partizipation, Kooperation und gesellschaftlicher Austausch sollten zu neuen gelebten Werten des Zentrums werden, verschiedene Communities aus den Quartieren, der Stadt und den Besucher:innen sollten sich das Zentrum und seinen Aussenraum aneignen. Zudem sollte der Museumsfachwelt ein Set von kopierbaren Prozessen und Methoden zur Neupositionierung von Museen zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung dieses hohen Anspruchs an Partizipation, Kooperation und an Kulturwandel sollte mit einer Fest-Idee ins Rollen gebracht werden. Doch wer genau lädt ein zum Fest und wer wird eingeladen? Nach ersten reflektierenden Gesprächen zwischen dem Zentrum Paul Klee, Migros-Pionierfonds und der begleitenden Hochschule Luzern wurde schnell klar: Bis zu diesem grossen, von vielen getragenen und partizipativ organisierten Fest lag noch ein weiter Weg. Mit partizipativen Entwicklungsprozessen wird oft auch ein Prozess in der Organisationsentwicklung angeregt. Denn Partizipation und Kooperation verlangt nach neuen Formen der Governance. Und damit erfordert die Idee verstärkter Partizipation und Kooperation im Museumsbetrieb eine nachhaltige Veränderung.

  • Wissen schaffen: Die Aktivierung organisationsinterner Ressourcen, lokaler Gemeinschaften und der Eigeninitiative der Bevölkerung, verlangt nach Informationen über Handlungsfelder und möglichen Akteursgruppen im sozialräumlichen Umfeld.
  • Zeit: Es müssen Netzwerkstrukturen nach Aussen aufgebaut und nach Innen neue Formen der Zusammenarbeit ausgelotet werden.
  • Kulturwandel: Gefordert wird damit eine Abkehr von vorwiegend auf imperative Steuerung ausgerichtete Strukturen hin zu Strategien der Governance, das heisst, neue Formen vernetzter und kooperativer Steuerung durch unterschiedliche Akteursgruppen.

Erkenntnisse aus den Analysen

Die sozialräumliche Quartieranalyse, erarbeitet von den Mitarbeitenden des Zentrum Paul Klee und dem Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit hat verschiedene Interessenskonflikte aufgedeckt. Diese zeigten sich sowohl in den Quartier- wie auch in den Organisationsstrukturen des Zentrums.

Quartierebene

  • sozialräumliche Segregation und heterogene Quartierstrukturen rund um das Zentrum Paul Klee zeigen unterschiedliche Bedürfnisse an und Bezüge zum Haus
  • Die Wahrnehmung des Zentrum Paul Klee als abgehoben, entfernt und unnahbar
  • Skepsis gegenüber dem Vorhaben paul&ich, Spannungsverhältnis von elitärer Kunstinstitution und Quartierbezogenheit.

Ebene Zentrum Paul Klee

  • Unterschiedliche Ansprüche des Zentrum Paul Klee und seiner Mitarbeiter:innen an paul&ich
  • Skepsis und Widerstände gegenüber paul&ich von Seiten Dachstiftung ZPK
  • Fehlende interne Projektleitung für das Projekt paul&ich als Motor

Erkenntnisse aus der Partizipationsforschung für paul&ich

Partizipative Prozesse innerhalb einer Organisation können nur gelingen, wenn das ganze System eingebunden ist. Widerstände seitens steuerungshoheitlicher Gremien müssen vor Beginn des Projektes ausgehandelt werden. Konkret heisst dies, ohne klares Commitment des Stiftungsrats und der Geschäftsleitung kann das Projekt paul&ich nicht mit den anvisierten Zielen durchgeführt werden.

paul&ich braucht deshalb:

  • Klares Commitment seitens Geschäftsleitung und Stiftung
  • Eine interne Projektleitung mit professionellen Kompetenzen in Partizipation und Moderation (Intermediäre Funktion)
  • eine sensible und sorgfältige Aufbauarbeit und Vernetzungsarbeit
  • einen situationsgerechten Einbezug verschiedener Akteure und Interessen
  • konkrete, fassbare Zwischenerfolge
  • eine längerfristigere Perspektive als zu Beginn vom Migros-Pionierfonds vorgesehen

Durch das beharrliche Engagement der Geschäftsleitung und den Möglichkeiten für eine neue strategische Ausrichtung von paul&ich seitens Migros-Pionierfonds konnten die Grundlagen für die sorgfältige Aufbauarbeit für paul&ich geschaffen werden.

Commitment, Aufbauarbeit und Corona

Klares Commitment für das Projekt paul&ich war die Schaffung einer internen Projektleitung, welche auch in intermediärer Funktion zwischen dem Zentrum Paul Klee, den Quartieren und weiteren Akteursgruppen agieren kann. Mit Eva Grädel als Projektleiterin hat paul&ich eine konkrete Ansprechperson innerhalb des Zentrums als auch im Quartier erhalten. paul&ich hat durch das interne Commitment gegen Aussen und durch die Stellenbesetzung einer professionellen Projektleitung in Sachen Partizipation und Projektmanagement den dringend benötigten Schub erhalten.

Gezeigt hat sich dies:

  • in der professionellen und sukzessiven Netzwerkarbeit
  • im fulminanten Laternenfest, welches wohl manche Skepsis gegenüber dem Zentrum Paul Klee und dem Projekt paul&ich bei unterschiedlichen Gruppen aus den Quartieren in den Wind geschlagen hat.
  • In der sehr gut besuchten Ideenwerkstatt, welche über den Aufbau einerSpurgruppe aus den Quartieren und dem Netzwerk des Laternenfestes sorgfältig vorbereitet, organisiert und durchgeführt wurde.
  • Im Engagement der Teilnehmenden der Ideenwerkstatt in Form von intensiven Diskussionen und dem Willen zur Mitarbeit in Themen-Arbeitsgruppen.
  • In der präzisen Nachbereitung der Ergebnisse aus der Ideenwerkstatt und der Handlungsmöglichkeiten mit der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden des ZPK

Corona war ein massiver Einschnitt für das partizipative Projekt paul&ich. Trotzdem konnten sichtbare und fassbare Zwischenerfolge online über die sehr ansprechende Homepage von paul&ich erzielt werden. Damit war es auch möglich, das in der Ideenwerkstatt entstandene Engagement vieler Interessierter auf kleinem Feuer weiter aktiv zu halten.

Sichtbarkeit und Gestaltungsmöglichkeiten

Zwei wichtige Prinzipien der Partizipation zeigen sich in den Projekten Bilderclub und Gemeinschaftsgarten. Die Arbeitsgruppe Vernetzung hat mit dem Bilderclub ein offensichtlich grosses Bedürfnis abgedeckt, sich die Bilderwelt unter Quartierbewohner:innen selbst zu erschliessen. Ein Engagement in Zusammenarbeit mit den Quartiervereinen, das auf grosses Interesse gestossen ist und nach Fortführung ruft.
Die Arbeitsgruppe Aussenraum hat sich mit dem Garten ein Stück des Aussenraums angeeignet. Der Garten ist Gestaltungsraum und sozialer Raum zugleich. Pflanzen, Böden und soziale Beziehungen werden dabei gleichsam aufgebaut und gepflegt. Der Garten ist eine grosse Erfolgsgeschichte.
Beide Projekte sind aus dem grossen Engagement der Quartierbewohner:innen, der Quartiervereine, der Projektleitung von paul&ich und den Mitarbeitenden des Zentrum Paul Klee entstanden. Sie verkörpern die neu gelebten Werte des Zentrums von Partizipation und Kooperation, sie ermöglichen, sich die Bilderwelten und den Aussenraum auf unterschiedliche Weise anzueignen.

Das Herbstfest

Fünf Jahre nach der Fest-Idee, den Aussenraum des Zentrum Paul Klee quartierverbindend zu inszenieren hat das grosse Herbstfest genau dies geschafft! Im Herbst 2022 haben Quartierbewohner:innen, Quartiervereine, Quartierorganisationen und das Zentrum Paul Klee zusammen ein grosses, fröhliches, aktives, sinnliches, verbindendes Fest organisiert und durchgeführt.

Wer macht mit?

Bildet sich die sozialräumliche Segregation, die in den Quartieren rund ums ZPK existiert auch im Engagement der Teilnehmenden ab? Reproduziert paul&ich Ausschlussmechanismen? An den Projekten nehmen viele ältere Leute aktiv teil. Es sind Menschen, die Zeit und Musse haben, sich zu engagieren. Am Herbstfest haben sich die IG Schönberg-Ost und die Nachberegruppe Obstberg engagiert, die südlich angrenzenden Quartiere Freudenberg und Ostring mit einer ärmeren Bevölkerungsstruktur sind noch wenig integriert. Gerade der Garten als sozialräumliche Veränderung im Gefüge kann jedoch ermöglichen, – und über die Jahre wohl noch stärker – niederschwellige Begegnungsmöglichkeiten für unterschiedliche Menschen zu schaffen. Das macht ihn ungemein wertvoll.

Was hat sich verändert?

  • Das ZPK positioniert sich quartiernaher: Dazu beigetragen haben die neue Stelle der Projektleiterin, Kommunikation/Blog, Anlässe wie Laternenfest, Ideenwerkstatt und Projekte wie das Gartenprojekt. Wichtig auch die neue, nahbarere Ausrichtung des Restaurants Schöngrün.
  • Nach wie vor bestehen jedoch Wünsche, den Aussenraum noch stärker als Möglichkeitsraum und als Begegnungsraum von Quartier und ZPK zu gestalten.
  • paul&ich wirkt quartierverbindend, allerdings v.a. für die wohlhabenderen Quartiere ringsum. Es werden noch nicht alle Zielgruppen gleichermassen angesprochen
  • Innerhalb der Organisation ZPK ist der Kulturwandel, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit und das sich einlassen aufs Quartier ein wichtiges Thema.
  • Vgl. «Kinder kuratieren Klee».

paul&ich und das Teilen der Ideen

Übergeordnetes Ziel des Engagements war, dass die Erkenntnisse aus dem Projekt paul&ich mit anderen Museen geteilt werden sollten. Das Netzwerk P setzt diesen Auftrag sehr reflektiert und fundiert um. Über 100 Museumsschaffende haben sich in das Netzwerk eingebracht. Im März 2022 haben sich über 50 Partizipations-Praktiker:innen aus der Museumswelt zum Workshop P im Zentrum Paul Klee getroffen, um sich mit ihrer Motivation partizipativ zu Arbeiten auseinanderzusetzen. Entstanden sind 9 Thesen zur Partizipation in Schweizer Museen. Ein Blog vertieft spezifische Themen. Das Netzwerk soll sich über die Jahre in der Museumswelt verankern und die Reflexion über die Partizipation in Museen fundiert weiterbearbeiten.

Barbaras Analyse zum Herunterladen


Barbara Emmenegger ist Raumsoziologin, war bis 2020 Professorin am Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und ist heute selbständig mit ihrem Büro Soziologie & Raum in Zürich. Im Fokus ihrer Arbeit liegen sozialräumliche Entwicklungsprozesse. Dabei interessieren prozessorientierte Fragen der Partizipation genauso wie strukturelle Fragen der gesellschaftlichen Kohäsion. Wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen zu Genderstudies, Körperpolitik und zu raum- und stadtsoziologischen Themen.

Barbara hat paul&ich während der gesamten Projektdauer von fünf Jahren begleitet.

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