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Begegnung im Quartier – paul@goscho

Cochon? Dojo? Gosch au? Goscho! Unsere Entdeckungsreise führt uns weiter an einen Ort, den weder Eva noch ich vorher gekannt haben. Das Goscho ist ein kleines aber feines Kulturlokal im Herzen des Murifeld-Quartiers, wo sich alles um Musik dreht. Ein spannendes Gespräch über Kultur und Quartiergeschichte.

Man kann von aussen noch erahnen, dass das Haus an der Muristrasse 93 früher als Ladenlokal diente. Heute ist der geräumige Saal im Erdgeschoss Heimat des Goscho, wo rund zehn Mal pro Jahr Konzerte mit nationalen und internationalen Künstler*innen stattfinden. Die Kräfte hinter dem Goscho sind Malou und Claude, die das Lokal seit 2012 bespielen, seit 2014 mit einer jährlichen Programmation. Wenn der Saal voll ist, passen ganze 60 Personen in die Reihen der Zuschauer, die Bühne bietet Platz für drei bis vier Musiker*innen, je nachdem, ob ein Schlagzeug dabei ist oder nicht. Die Atmosphäre ist sehr persönlich und privat und es kommt oft vor, dass Künstler*innen im Haus übernachten und mit Malou und Claude zu Abend essen.

Was einem als erstes auffällt, sind die Schweinchen in allen Formen und Grössen, die den Aussen- und Innenraum des Goscho zieren. Dafür gibt es zwei Gründe: Schweine sind Claudes Lieblingstiere, und das Haus war früher eine Metzgerei. Als Malou und Claude den Kulturort eröffnet haben, war also klar, dass der Name etwas mit Schweinen zu tun haben musste. Nach einigen Wortspielen mit Freunden ist aus Cochon, Dojo – weil es sich dabei auch um einen Begegnungsort handelt und im Goscho auch Yoga-Lektionen stattfinden – und Gosch au? schliesslich das Goscho geboren. Der Raum hinter dem Wort ist genauso reich und verspielt wie sein Name. Es ist ein Raum für Kammerkunst, den Claude und Malou aus Leidenschaft mit dem bespielen, was ihnen gefällt. Wenn Profit erzielt wird, wird alles ins Goscho reinvestiert. Viele Musiker*innen mögen das kleine Feine, und sie kommen regelmässig wieder. Wie zum Beispiel die drei Wikinger mit den Engelsstimmen von The White Album, die bei ihrem ersten Besuch aufgrund der Grösse und Einfachheit des Ortes ziemlich perplex waren, sich im Goscho aber innert kürzester Zeit wohl gefühlt haben. Diese Begegnung sei eine ihrer liebsten, sagen Claude und Malou.

«Das Goscho ist unsere Leidenschaft nebenbei. Es ist ein Geschenk, einen Raum zu haben, den man einfach zur Verfügung stellen kann.»

Malou, Goscho

Es gebe eine «Family», die dem Goscho sehr treu sei, die jedoch je nach Musikstil – vor allem Jazz und nicht traditionelle Volksmusik – und auftretender Gruppierung variiert. Aus der direkten Nachbarschaft seien aber nicht viele darunter. «Man sagt doch, das sei typisch Schweizerisch: Man geht lieber im übernächsten Dorf aus, anstatt im eigenen», meint Claude schmunzelnd.

Ein Treffpunkt sei das Goscho nicht im eigentlichen Sinne. Das könne es bei den unregelmässigen Öffnungszeiten auch gar nicht sein. Es gehe auch zuallererst um die Musik und nicht um die Treffen an sich. Eine Fantasie sei es schon, dass der Ort zum Treffpunkt werde, aber dann würde es einen regelmässigen Barbetrieb und Öffnungszeiten brauchen, was den Rahmen für sie beide sprengen würde. «Wir stehen mitten im Erwerbsleben. Das Goscho ist unsere Leidenschaft nebenbei. Es ist ein Geschenk, einen Raum zu haben, den man einfach zur Verfügung stellen kann», sagt Malou. Nebst Konzerten können im Goscho auch private Feste gefeiert werden. An Weihnachten zum Beispiel, wenn zu Hause der Platz fehlt, oder an Geburtstagen. Wenn es passt, stossen Malou und Claude auch dazu.

Das Haus sei ihnen buchstäblich zugeflogen, und die Sterne standen gut, antworten Malou und Claude auf unsere Frage, wie man zu so einem Bijou komme. Claude hatte schon früh die Vision eines «Kulturstalls». Als die Kinder ausgeflogen waren, zog Claude als Mieter ins Haus. Drei Monate später erhielt er das Schreiben, dass das Haus verkauft würde, die Mieter hätten aber das Vorkaufsrecht zu fairen Konditionen. Die Vision wurde wieder lebendig, die beiden bewarben sich mit dem Konzept Kulturort und erhielten den Zuschlag. In den oberen Wohnungen leben junge Familien.

Das Goscho ist bis heute als Gewerberaum deklariert, sie nennen es aber liebevoll Atelier. Es gibt dazu eine lustige Anekdote: Seit ca. 1945 steht im Grundbuch, dass das Betreiben von übelriechenden Gewerben in diesem Lokal verboten sei. «Der Metzger muss furchtbar gearbeitet haben», meint Claude lachend. Niemand hat das Verbot seither angefochten, obwohl die Bewohner des Hauses des Öfteren gewechselt haben: Nach der Metzgerei bezog ein Schumacher das Ladenlokal, dann ein Fotograf und schliesslich ein Goldschmied. Jeder Bewohner hat seine Spuren hinterlassen: Der Schumacher den Linoleum-Boden im vorderen Teil, der Goldschmied einen kleinen Resten Parkett mit dunkler Patina, und der Fotograf eine Leinwand an der hinteren Wand. Im Untergeschoss, wo heute ein Gitarrenbauer sein Atelier hat, ist der Abfluss des Schlachtraums noch immer vorhanden.

paul&ich sei ein sehr schönes Projekt. Er begrüsse es sehr, dass das Zentrum Paul Klee als ziemlich stark subventionierte Institution mit festem Budget so durchlässig werde, sagt Claude. Malou ergänzt, dass sie solche Initiativen, insbesondere nach dem Lockdown, besonders wichtig finde. Man habe sich so stark zurückgezogen und sich so an den Rückzug gewohnt, dass man manchmal vergesse, was da draussen alles sei. Sie sei sehr dankbar für solche Impulse.

Über den Stadtteil IV sagen Malou und Claude das, was wir auch in anderen Gesprächen oft gehört haben. Je nachdem, wo man hinschaue, sehe man ganz unterschiedliche Dinge. Die Quartiere in sich seien sehr geschlossen, es gebe wenige Berührungspunkte und es fehle das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das Murifeld, in dem sie sich bewegen, sei sehr lebendig, wild und voller toleranter Menschen. «Hier kann ich atmen, einfach sein und mich selber verwirklichen», sagt Malou. Claude ergänzt, das Quartier sei eines im Aufschwung, und er freue sich auf die Zukunft mit den grossen Plänen betreffend Autobahn und der Überbauung beim Burgernziel.


Weiter zur Hostet Elfenau

Claude und Malou schicken uns an einen grünen Ort, wo vieles wächst und gedeiht: Die Hostet Elfenau, ein Begegnungsort, der seit 2019 Stadtgärtner*innen Raum für Experimente bietet.

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