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Begegnung im Quartier – paul@zentrumSchönberg

Unsere Entdeckungsreise durch das Quartier führt mich heute zu Katrin Bucher ins Zentrum Schönberg, wo ich der Vergänglichkeit begegne.

Das Treffen mit Katrin ist ein Wiedersehen. Sie hat letztes Jahr bereits in der Spurgruppe mitgewirkt, welche die Ideenwerkstatt vorbereitet und so paul&ich auf die Beine geholfen hat. Das Zentrum Schönberg liegt schräg vis-à-vis vom Zentrum Paul Klee, auf der anderen Seite der Autobahn. Von aussen sieht das lange, dunkle Gebäude direkt an der A6 sehr geschlossen aus. Das wiederspiegelt in gewisser Weise auch die Lebensrealität seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Das Zentrum Schönberg ist ein Haus für Menschen mit Demenz, die Dachterrasse der einzige Aussenraum, in dem sie sich frei bewegen können. Ein Schwerpunkt der Institution liegt auf der Palliativen Geriatrie, einer Spezialisierung der Palliative Care für Menschen, die sich verbal nur noch schlecht oder nicht mehr ausdrücken können. Kennt man das Zentrum Schönberg nicht, mag sich nun die Frage stellen, was denn dieses Haus zu einem Treffpunkt macht.

Ich wusste bereits vor meinem Gespräch mit Katrin, dass ein Teil des Hauses öffentlich zugänglich ist. Erst durch den Austausch mit ihr wurde mir aber bewusst, dass das Zentrum auf einer Metaebene einen Treffpunkt ganz anderer Art darstellt. Hier treffen alle, die von aussen kommen, auf die Vergänglichkeit. Es beginnt bereits im Eingangsbereich. An den Wänden hängen Portraits von ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern, persönliche Bilder, welche die Gebrechlichkeit und das Alter der Portraitierten zeigen. Das sei einigen Leuten bereits zu viel, meint Katrin. Es kann auch sein, dass einem beim Betreten des Gebäudes ein Sarg entgegenkommt. Früher sind die Särge über die Tiefgarage abgeholt worden, heute werden sie im Rahmen eines Abschiedsrituals bewusst durch den Haupteingang hinausbegleitet. Die Vergänglichkeit und das Sterben werden heute im wahrsten Sinne des Wortes weggesperrt, dabei seien sie zentrale Aspekte unseres Lebens. Katrin Bucher will die Vergänglichkeit enttabuisieren, ihr Raum in unserer Gesellschaft einräumen und damit beginnt sie im eigenen Haus, beispielsweise mit diesen Abschiedsritualen. Das Sterben soll wieder Teil des Lebens sein, und so versucht sie im Zentrum Schönberg auch Kontaktpunkte zu schaffen zwischen Bewohnerinnen und Besuchern. Sie ist fest überzeugt, dass es Kondensationspunkte braucht, damit Menschen in Kontakt kommen. Das können Orte sein, vielfach seien es aber Momente und das Sterben sei ein solcher. Der Tod oder sein unmittelbares Bevorstehen bringe oft Menschen zusammen, die sich lange Zeit nicht gesehen hätten und zwinge sie, miteinander zu reden. Das sei manchmal ein Brennglas für Konflikte. Dennoch empfindet sie diesen steten Kontakt mit der Endlichkeit als Geschenk. Er hilft ihr, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. «Man fragt sich: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Dabei müssten sich viele Menschen die Frage stellen: Gibt es ein Leben vor dem Tod?». Entsprechend wichtig ist es Katrin, Leben und Alltag in das Haus und zu seinen Bewohnerinnen und Bewohnern zu bringen.

«Es ist ein anderes Gefühl, wenn man die Menschen in seinem Umfeld kennt. Es gibt einem Sicherheit, zu wissen, dass man jederzeit Kontakt aufnehmen könnte.»

Zum Beispiel durch das öffentlich zugängliche Restaurant, wo sich Leute aus dem Quartier zum Kaffeetrinken, Jassen oder zum Mittagessen treffen. Mit Corona hat sich das Kommen und Gehen leider stark reduziert. Als Teil des Schutzkonzeptes musste das Restaurant für Gäste von aussen geschlossen werden. Es gab bereits verschiedene Initiativen, das Zentrum und seine Nachbarschaft zusammenzubringen, durch Führungen oder Einladungen. In der Umgebung des Zentrums können Schreie der Bewohnerinnen vernommen werden oder man kann Zeuge eines Abschiedsrituals werden. Für Kinder wie für Erwachsene sind das ungewohnte Erlebnisse, daher sei der Kontakt enorm wichtig. Dieser soll mit dem Projekt «Caring Community» zukünftig noch verstärkt werden. Ziel ist es, Erlebnisse und Räume zu schaffen, die Menschen zusammenbringen, da spontane Begegnungen in unserer heutigen Lebenswelt selten geworden sind. Der konkrete Ort sei dabei sekundär, das Ganze müsse aber lokal geschehen: «Es ist wichtig zu wissen, dass man die Leute kennt, wenn auch flüchtig. Kleine Kontakte, das sind die Perlen des Alltags.»

Im Stadtteil IV sind solche Begegnungen in Katrins Augen bisweilen eine Herausforderung. So vielfältig sei dieser Teil von Bern und so weitläufig, dass eine gemeinsame Identität kaum möglich sei. Vielleicht sei dies aber auch zu viel verlangt von einer Verwaltungseinheit. Eigentlich gehe es doch darum, in dem Raum, in dem man sich bewegt, Leute zu finden, die man mag oder mit denen man etwas bewegen will.

paul&ich hat für Katrin einen solchen Kristallisationspunkt geschaffen, indem das Projekt Leute aus dem Quartier zusammenbringt, die sich sonst nicht begegnen würden. Diese vernetzende Funktion schätzt Katrin. Es gebe ihr das Gefühl, das Zentrum Schönberg sei Teil des Quartierraums und gehöre dazu. Aufgrund dieses Kontakts mit dem Zentrum Paul Klee habe sie sich gewagt, zu Beginn des Lockdowns, als sie für ihre Mitarbeitenden zusätzliche Parkplätze benötigte, bei uns anzufragen. «Es ist ein anderes Gefühl wenn man die Menschen in seinem Umfeld kennt. Es gibt einem Sicherheit, zu wissen, dass man jederzeit Kontakt aufnehmen könnte.» Wenn paul&ich das bewirken kann, sind wir wohl auf dem richtigen Weg dazu, unsere Rolle im Quartier zu finden.


Weiter zur Quartierarbeit Stadtteil IV

Katrin schickt uns weiter zu Reto Bärtsch und Jana Obermeyer von der Quartierarbeit Stadtteil IV. Die beiden kennen den Stadtteil wie sonst wohl kaum jemand und bei ihnen laufen viele Fäden zusammen. Ich bin gespannt zu hören, wo sie die Funktion von Treffpunkten im Quartier sehen.

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