paul&fundbüro – Begegnung in unserem Netzwerk
Mein Name ist Rebecca Etter und ich bin seit letztem November für das «Fundbüro für Erinnerungen» im Alpinen Museum verantwortlich. Das «Fundbüro für Erinnerungen» ist ein partizipatives Schaudepot. Es werden Objekte aus der Sammlung des Alpinen Museums gezeigt und Objekte und Geschichten aus der Bevölkerung gesammelt. Das erste «Fundbüro für Erinnerungen» eröffnete am 15. Februar 2020 zum Thema Skifahren uns soll bis im Herbst 2021 zu sehen sein. Für den Blogbeitrag habe ich meine beiden Kolleginnen Michelle Huwiler (MH) und Tanja Bräm (TB) um ein Gespräch gebeten.
MH: Als Sammlungsverantwortliche ist meine Aufgabe die Schnittstelle zwischen Sammlung und «Fundbüro für Erinnerungen» herzustellen.
TB: Als Assistenz der Sammlung bin in Kontakt mit den Menschen, die ihre Objekte und Geschichten mit uns teilen, beantworte ihre Anfragen, erstelle Schenkungsverträge und widme mich der Montage neu eingetroffener Objekte.
Was passiert in diesem Partizipationsprojekt?
RE: Das «Fundbüro für Erinnerungen» widmet sich während ca 1.5 Jahren einem Thema. Mit dem Aufruf «Bring Leben in unsere Sammlung» suchen wir nach Skis, Sonnenbrillen, Pokale etc. und dazugehörende Erinnerungen.
MH: Wir beziehen die Bevölkerung ein und fragen: «Was sollen wir sammeln?» Zudem sammeln wir persönliche Geschichten zu Objekten. Das ist das, was bei vielen älteren Objekten in der Sammlung fehlt. Früher betrachtete man dieses immaterielle Gut als irrelevant.
TB: Zahlreiche Menschen sind bis heute dem Aufruf gefolgt und haben sich via Webformular www.e-fundbuero.ch gemeldet. Wir haben sie zu einem Gespräch ins Museum eingeladen. Andere sind spontan vorbeigekommen und hinterlegten ihre Objekte beim Empfang.
MH: Wir dachten, die Menschen bringen ihre Skischuhe und erzählen uns ein besonderes Erlebnis dazu. Häufiger standen die Skischuhe schon länger im Keller und bislang konnte man sich nicht von ihnen trennen. An konkrete Erlebnisse mit diesen Schuhen konnten sie sich nicht erinnern. Also mussten wir nachfragen: «Was bedeutet Ihnen das Skifahren? Wo haben Sie diesen Schuh verwendet?»
Was ist spannend? Seitens des Museums haben wir eine Meinung. Es gibt aber auch andere Perspektiven. Deshalb ist es uns wichtig, diese Entscheidung im Dialog mit Alltagsexperten und Fachexperten zu treffen.
Rebecca Etter
TB: Bei manchen haben die Fragen auch einen Prozess angestossen und sie meldeten sich später nochmals mit einem längeren Text.
RE: Danach werden die Objekte mit einer Etikette versehen. Auf der Etikette ist ein Kondensat der erhaltenen Informationen notiert: Donator*in, Herstellungsjahr des Objektes und seine Geschichte oder Besonderheit. Alle bisher eingegangenen Objekte sind während der Laufzeit des ersten Fundbüros zum Thema Skifahren zu sehen. Bei den Besucher*innen wiederum rufen sie eigene Erinnerungen wach. Die Objekte im Fundbüro sind aber noch nicht in die Sammlung aufgenommen.
MH: Genau. Wir können nicht alles in die Sammlung aufnehmen. Wenn zum Beispiel fünf Personen die gestreifte SKA Mütze bringen, macht es keinen Sinn alle 5 Mützen in die Sammlung aufzunehmen. Also wird erst am Schluss entschieden, welche SKA Mütze die spannendste Geschichte hat.
RE: Was ist spannend? Seitens des Museums haben wir eine Meinung. Es gibt aber auch andere Perspektiven. Deshalb ist es uns wichtig, diese Entscheidung im Dialog mit Alltagsexperten und Fachexperten zu treffen.
Kommst du während deiner Arbeit in Kontakt mit Menschen aus der Umgebung? Wie erlebst du diesen (positiv, bereichernd, negativ…)?
TB: Ja, einige Begegnungen waren sehr berührend. Ich kann mich an eine Frau erinnern, die die Skischuhe ihrer Mutter vorbeibrachte. Ihre Mutter hat sich diese Skischuhe mit ihrem ersten Gehalt als Lehrerin gekauft. Sie leistete sich Schuhe in hoher Qualität. Die Geschichte dieser Skischuhe kannte die Tochter aus früherer Zeit. Mittlerweile ist die Mutter dement und lebt in einem Altersheim. Die Tochter hat die Skischuhe bei einem Besuch im Altersheim ihrer Mutter gezeigt, um mehr Geschichten herauszulocken. Sie brachte die Skischuhe auch zu einem Schumacher, um herauszufinden, woraus das Material der Sohle bestand. Von den Begegnungen mit ihrer dementen Mutter und dem Schumacher hat sie mir wiederum erzählt. Die Tochter hat definitiv einen grossen Aufwand betrieben, um mehr Informationen über die Skischuhe zu generieren. Dies hat auch bei ihr etwas ausgelöst und Erinnerungen wachgerufen.
Manchmal sind die Geschichten sehr persönlich. Und wenn Dinge gebracht werden, von denen bereits unzählige Exemplare vorhanden sind, müssen wir die Objekte ablehnen. Das ist dann recht schwierig.
Wie schätzt du Projekte und Formate ein, die Mitarbeiter*innen von Museen / Kulturinstitutionen und Besucher*innen/ Nutzer*innen zusammenbringen ein?
MH: Ich finde sie extrem wichtig. Wir machen Ausstellungen für ein Publikum. Also müssen wir auch wissen, was die Menschen beschäftigt.
RE: Es ist eine Grundsatzfrage: «Wem gehört die Sammlung und wer entscheidet darüber, was sammlungswert ist?». Lautet die Antwort: alle/n. Dann sollte man auch einem möglichst breiten Publikum den Zugang ermöglichen. Da setzen partizipative Projekte an, sie fungieren als Türöffner und laden das Publikum zu einem Austausch ein.
TB: Ich habe mich oft gefragt, wie weit Partizipation gehen kann und wo ihre Grenzen sind.
Gibt es eine Begegnung, die in diesem Rahmen stattgefunden hat, und die besonders in Erinnerung geblieben ist?
MH: Es gibt ganz viele besondere Begegnungen. Beispielsweise jene mit Herrn Schuler und seinen Skibügeln. Er verfolgt mit seiner Skibügel-Sammlung leidenschaftlich ein Interesse und verfügt über ein spezifisches Wissen, das für unsere Sammlung hoch interessant ist. Oder die Freestyle-Skifahrer, die an der Vernissage ihre Show abgezogen haben.
Was ist deine Einstellung zum Projekt paul&ich?
MH: Paul und ich ist ein Quartierprojekt, das finde ich sehr spannend und eine gute Idee. Das ZPK ist als Kunstmuseum zwischen Autobahn und Wohnquartier angesiedelt und die Menschen rundherum haben womöglich wenig Bezug zum Museum. Paul&ich sagt: «Hei, hier steht eine öffentliche Institution auf eurem Grund. Geht rein, nehmt das für euch in Anspruch».
RE: Die Methode des Rausgehens und «Auf die Menschen zugehen». Das finde ich vielversprechend.
MH: Es ist bestimmt auch umstritten, wenn das, was mit Paul&ich geschieht, nicht direkt mit Paul Klee zu tun hat. Aber ich finde es interessant, die Menschen nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Vielleicht ist es nicht Kunst, sondern urban gardening auf dem Museumsgelände – wieso nicht?
Wer soll den nächsten Beitrag schreiben und wieso?
MH: Das Museum für Kommunikation arbeitet an einem Projekt «Wir müssen reden», das die ökologische Krise behandelt. Der Projektleiter Ueli Schenk will Dialogformate anregen und geht auf verschiedenen Gruppen in diesem Bereich zu.
RE: Das tönt spannend. Gerade, weil das Projekt im Entstehungsprozess steckt und in der aktuellen Situation Partizipation und Begegnungen mit Menschen von Beginn weg anders denken muss.