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paul&BHM LAB – Begegnung in unserem Netzwerk

Wir haben die verschiedenen Perspektiven zusammengetragen und dann im Team ­– gemeinsam mit den Kurator:innen der ethnogafischen Sammlungen – beschlossen, dass wir dieses Wort nicht mehr in unseren Ausstellungen benutzen wollen. Deshalb haben wir die Wörter überklebt. Ein zusätzlicher Text erklärt den Besucher:innen, warum wir als Institution diese Haltung einnehmen und zeigt alternative Bezeichnungen auf. Interessant war: Indem wir als Museum in dieser Frage eine klare Position einnehmen, bieten wir unseren Besucher:innen ebenfalls die Möglichkeit, sich zu positionieren. Auch wenn sie mit dieser Entscheidung vielleicht nicht einverstanden sind: Plötzlich entsteht Raum für eine Debatte.

Anna-Pierina Godenzi & Aline Minder

Wir sind Aline Minder und Anna-Pierina Godenzi und leiten zusammen das BHM LAB im Bernischen Historischen Museum. Das BHM LAB versteht sich als Probebühne, als Versuchslabor und als Resonanzraum. Es zeigt sich in Vermittlungsangeboten, Themenschwerpunkten und Arbeitsweisen. Und es geht um neue Wege in der Museumsarbeit: Im Museum wird für die Öffentlichkeit wahrnehmbar interveniert, Ausstellungen werden ohne Perfektionsanspruch verändert. Unser Ziel ist es, aus gängigen Museumsformaten auszubrechen und schneller darin zu werden, aktuelle Themen aufzugreifen. Das BHM LAB ist also zugleich eine Arbeitsweise und eine Haltung. Für die Jahre 2022 bis 2024 haben wir uns das Schwerpunktthema «Koloniale Verflechtungen und Rassismus» gesetzt, das aus vielen kleineren und grösseren Projekten besteht.

Ist das BHM LAB partizipativ?

Tatsächlich arbeiten wir nicht so sehr mit dem Partizipationsbegriff, da er so Vieles umfasst und in der Museumswelt auch ein wenig überstrapaziert wurde… Für uns ist Partizipation eine Haltungsfrage. So arbeitet das BHM LAB kollaborativ und bezieht sowohl museumsinterne Expertise als auch externe Akteur:innen mit ein. Wo fehlen uns Kompetenzen? Wer könnte uns zu diesem Thema etwas sagen? Welche Perspektive bereichert unseren Prozess?  Es sind solche Fragen, die unsere Arbeit prägen.

Mit Museumsbesucher:innen  eine Ausstellung durchleuchten

Ein Beispiel dafür ist das Format «Kartografie kolonialer Verflechtungen». Ausgangspunkt für dieses explorative Workshopformat waren die 15 bis 20-jährigen ethnografischen Dauerausstellungen «I. – Vielfalt der Kulturen in Amerika» und «Kulturen in Asien und Ozeanien». Initialzündung dafür war ein Gefühl des Unbehagens innerhalb des Museumsteams. Dieses Unbehagen hatte kein klares Zuhause sondern wurde von einer Mischung aus veralteten Präsentationsformen, unklarer inhaltlicher Einbettung der Objekte und dem Gebrauch des I.-Wortes genährt. Gerade für Letzteres wurden wir in den vergangenen Jahren auch von unseren Besucher:innen immer wieder kritisiert. Am einfachsten (und üblichsten) wäre es gewesen, die alten Ausstellungen zu schliessen. Ausserdem steht mittelfristig die erste Generalsanierung unseres 125 Jahre alten Museumsschlosses an. Früher oder später werden also sowieso alle Ausstellungen ausgeräumt und das Museum von Grund auf neu konzipiert. Doch wir entschieden uns gegen ein sofortiges, stilles Verschwindenlassen der beiden ethnografischen Ausstellungen. Wir wollten diesem Unbehagen auf den Grund gehen. Gemeinsam mit unseren Besucher:innen.

Die Reise zum «Open Space»

Den Workshop „Kartografie kolonialer Verflechtungen“ haben wir bis jetzt mit acht unterschiedlichen Fokusgruppen durchgeführt, von Schulklassen bis zu Erwachsenengruppen. Die Zwischenergebnisse zeigen, dass die Ausstellungen nicht als offensichtlich problematisch wahrgenommen werden – jedoch werfen sie viele kritische Fragen auf. So drehten sich viele Diskussionen um den Entstehungs- und Erwerbsprozess der Objekte und entsprechende Frustrationsmomente, wenn diese nicht abschliessend beantwortet werden können. (Hier geht es zu den Spuren kolonialer Provenienz). Die Nutzung des I.-Wortes gab bereits vorgängig viel Diskussionsstoff, aber auch andere sprachliche Formulierungen. Wir haben die verschiedenen Perspektiven zusammengetragen und dann im Team ­– gemeinsam mit den Kurator:innen der ethnogafischen Sammlungen – beschlossen, dass wir dieses Wort nicht mehr in unseren Ausstellungen benutzen wollen. Deshalb haben wir die Wörter überklebt. Ein zusätzlicher Text erklärt den Besucher:innen, warum wir als Institution diese Haltung einnehmen und zeigt alternative Bezeichnungen auf. Interessant war: Indem wir als Museum in dieser Frage eine klare Position einnehmen, bieten wir unseren Besucher:innen ebenfalls die Möglichkeit, sich zu positionieren. Auch wenn sie mit dieser Entscheidung vielleicht nicht einverstanden sind: Plötzlich entsteht Raum für eine Debatte. Als öffentliche Institution können wir nicht versprechen ein Ort zu sein, an dem niemand irritiert oder verletzt wird. Aber wir können und wollen uns immer mehr zu einem Ort entwickeln, an dem brisante Themen diskutiert werden und eine historische Kontextualisierung erfahren. Ein Ort, an dem sich Menschen aufgefordert und willkommen geheissen fühlen, auch die ‘schwierigen’ oder ‘dummen’ Fragen zu stellen. Ein Ort, an dem wir das gegenseitige Zuhören fördern und üben. Ein «Open Space».

Energiebilanz – eine bisher wenig diskutierte Herausforderung

Voraussetzung dafür, dass uns dies gelingt, ist ein ernsthaftes Interesse für unsere vielfältigen Gesprächspartner:innen. Konkret bedeutet für uns als Vermittler:innen zum Beispiel: wir benennen eigene Unsicherheiten, Schwächen und Unwissen. Diese Offenheit hat sich bewährt. Sie scheint eine wichtige Voraussetzung dafür zu sein, dass sich die Leute wohl genug fühlen, ihre Position zu reflektieren. Gleichzeitig ist es in diesen Formaten auch unsere Aufgabe, Sprechzeiten zu regulieren, Unstimmigkeiten zu ertragen und Grenzen zu ziehen. Die Themen «Koloniale Verflechtungen» und «Rassismus» werden gerade heiss diskutiert und diese Hitze kriegen wir als Vermittler:innen auch zu spüren. Das heisst, wir nehmen als Privatpersonen mit unseren eigenen Fragen und Verletzlichkeiten an diesen Workshops teil, leiten sie aber mit unseren fachlichen Kompetenzen und versuchen gleichzeitig, Inhalte zu vermitteln wie auch zwischenmenschliche Grenzüberschreitungen abzufangen. Kurzum: Nach diesen Workshops sind wir nudelfertig. Unser Arbeitstag jedoch häufig nicht. Gespräche zeigen, dass auch andere Vermittler:innen dieser Erfahrung teilen. Ressourcen und Zeit sind zwei wichtige strukturelle Voraussetzungen für diese Art von Vermittlungsarbeit. Auf der individuellen Ebene bewährt es sich, die eigenen Energieressourcen sorgfältig einzuschätzen und diese Erfahrungen in die Tagesplanung einfliessen zu lassen.

Die Rolle des Museums in unserer Gesellschaft

Das BHM LAB hat den Auftrag, in seinen Formaten einen Bezug zu tagesaktuellen Themen herzustellen. Dies führt dazu, dass unser Publikum häufig grundlegende Fragen zu unserer Arbeit stellt: Wie ist das Museum mit dem Kolonialismus verflochten? Wo sieht es seine Aufgabe in der Aufarbeitung und Vermittlung der kolonialen Vergangenheit der Schweiz? Wo und wie reproduziert es Machtverhältnisse und sind wir damit einverstanden? Das Museum ist ein Ort, an dem man Geschichte erfahrbar machen kann. Die Diskussionen im BHM LAB und dem Format «Kartografie kolonialer Verflechtungen» zeigen aber auch, dass ein Blick zurück meist mehr über die Gegenwart sagt als über die Vergangenheit.

Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit mit unserem Publikum eben nicht nur eine Auseinandersetzung mit einem Thema ist, sondern auch damit, welche Rolle ein Museum 2022 in einer diversen Gesellschaft einnimmt und wie es im Dienst dieser Gesellschaft stehen soll.

Was uns an paul&ich besonders gefällt ist, dass das Projekt sein Beziehungsnetz in der unmittelbaren Nachbarschaft knüpft und von dort aus immer weiter ausstrahlt. Davon können wir viel lernen. Dem fachlichen Austausch über Partizipation in der Schweizer Museumswelt hat paul&ich den entscheidenden Ruck gegeben! Toll, dass wir nun auch hier einen regen Diskurs mit vielen inspirierenden Praxisbeispielen haben und nicht mehr (nur) neidisch ins Ausland schielen müssen…


Fotos: (C) Bernisch Historisches Museum / Anna-Pierina Godenzi / Nathalie Jufer / Christine Moor


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