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Begegnung im Haus – paul&martin

Als Kurator bewege ich mich immer wieder zwischen ganz verschiedenen Welten. Das macht meinen Job aufregend. Letzte Woche gab es einen Tag, an dem ich mich morgens in der schillernden Welt der Art Basel mit einem amerikanischen Museumsdirektor wiederfand, um zwischen Tee, Gipfeli und Smalltalk die Übernahme einer Ausstellung von uns für sein Museum zu besprechen, während ich mir nachmittags mit einer Gruppe von Kindern im Creaviva-Atelier Klee-Werke angeschaut und dazu Gedichte geschrieben habe. An einem (fiktiven) anderen Arbeitstag könnte ich vielleicht morgens ein Archiv auf der Suche nach Dokumenten und Objekten für eine kommende Ausstellung besuchen und nachmittags zwei Choreografinnen treffen, um das Konzept und den Ablauf einer kommenden Performance in der Ausstellung zu diskutieren. Zwischenzeitlich lese ich kunst- und kulturhistorische Fachliteratur, feile an Konzepten oder halte Ausschau nach neuen Ideen. Das fordert, aber macht auch Spass.

« Ich arbeite heute sehr gerne mit Klee. Sein Werk ist von einer unglaublichen Vielfalt und hat eine menschliche Tiefe, die mich immer wieder aufs Neue beeindruckt. Nach mittlerweile dreieinhalb Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit seinem Werk habe ich noch immer manchmal das Gefühl, erst an der Oberfläche zu kratzen. »

Meistens arbeiten wir Kuratorinnen und Kuratoren an drei, vier oder fünf Ausstellungsprojekten gleichzeitig, die sich über die kommenden zwei bis drei Jahre verteilen – ein Mix aus Sammlungs- und Wechselausstellungen. Viele Projekte sind spartenübergreifend: Sie berühren neben der Kunst auch Bereiche wie Design, Architektur, Tanz, Literatur, Theorie, Geschichte oder Politik. Wir sind also ständig am Lernen. Im Vergleich zu einigen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus bin ich allerdings noch ein relativer Klee-Anfänger. Bevor ich ans Zentrum Paul Klee kam, war ich eher im Bereich der zeitgenössischen Kunst aktiv. Aber ich arbeite heute sehr gerne mit Klee. Sein Werk ist von einer unglaublichen Vielfalt und hat eine menschliche Tiefe, die mich immer wieder aufs Neue beeindruckt. Nach mittlerweile dreieinhalb Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit seinem Werk habe ich noch immer manchmal das Gefühl, erst an der Oberfläche zu kratzen. Obwohl ich Klee immer besser kennenlerne und verstehe, ist es trotzdem nicht mein Ziel, zum Klee-Experten zu werden. Es ist mir auch wichtig, das Blickfeld zu erweitern, neue Zusammenhänge zu ergründen und mit dem Werk, das Klee uns hinterlassen hat, neue Geschichten zu erzählen. So recherchiere ich z.B. gerade zur Schweizer Kulturpolitik in den 1930er-Jahren, zum Verhältnis von bildender Kunst und Avantgardefilm, oder zur Rezeption des Bauhauses in Grossbritannien.

« Aktuell bin ich vermehrt in partizipativen Projekten beschäftigt. […] Diese Projekte sind für mich eine erfrischende Erfahrung, da sie die Möglichkeit bieten, mit vielen interessanten Menschen – intern wie auch extern – Gespräche zu führen und für Herausforderungen gemeinsam Lösungen zu finden. »

Ich verstehe meine Rolle im Zentrum Paul Klee ein bisschen auch als “Querdenker” (bevor dieses Wort von der Corona-Diskussion infiziert wurde): ich überlege mir, wie man Klees Werk in interessanten, neuen Zusammenhängen ausstellen kann, denke mir neue Formen der Sammlungspräsentation aus, initiiere künstlerische Projekte mit externen Partnerinnen und Partnern oder bereite Wechselausstellungen vor, die uns etwas darüber vermitteln, welche Themen die Kunst im 20. Jahrhundert beschäftigt haben – und was die Kunst der Moderne mit der heutigen Zeit verbindet. Da ich keinen klassischen Museumshintergrund habe, versuche ich, meinen teils künstlerischen, teils theoretischen Hintergrund zu nutzen, um neue Ideen einzubringen. Aktuell bin ich vermehrt mit partizipativen Projekten beschäftigt. So sind zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der inklusiven Tanzkompanie BewegGrund aus Bern sechs kurze Tanz-Filme zur Ausstellung „Menschen unter sich“ entstanden (aktuell zu sehen). Und gemeinsam mit dem Creaviva und dem Projekt paul&ich haben wir unter dem Titel „Kinder kuratieren Klee“ gerade ein ganz besonderes kuratorisches Experiment lanciert: mit einer Gruppe von Kindern im Alter von 8-12 Jahren konzipieren wir im Sommer 2022 eine grosse Klee-Ausstellung – von Kindern für alle. Das gab es noch nie in einem Schweizer Museum!

« Die ehrlichsten Feedbacks zu den Ausstellungen höre (bzw. überhöre) ich manchmal im 12er-Bus. »

Diese Projekte sind für mich eine erfrischende Erfahrung, da sie die Möglichkeit bieten, mit vielen interessanten Menschen – intern wie auch extern – Gespräche zu führen und für Herausforderungen gemeinsam Lösungen zu finden. Als Kurator ist es nämlich nicht immer einfach, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Rückmeldungen zu Ausstellungen erreichen mich abseits von Veranstaltungen eher selten. Viele trauen sich ausserdem nicht, einem Kurator oder einer Kuratorin ihre Meinung zu sagen. Dabei freue ich mich sehr über jede Rückmeldung, positive wie auch kritische. Sinn macht eine Ausstellung für mich dann, wenn durch sie ein Dialog entstehen kann – wenn Menschen interessante Erlebnisse machen, über die sie sprechen wollen, oder wenn spannende Themen und Fragen aufgeworfen werden, zu denen es auch verschiedene Meinungen geben darf. Die ehrlichsten Feedbacks zu den Ausstellungen höre (bzw. überhöre) ich manchmal im 12er-Bus, wenn ich abends gegen 17 Uhr, wenn das Zentrum schliesst, zum Bahnhof fahre. Dann bekomme ich von den Sitzreihen vor oder hinter mir manchmal mit, was unsere Besucherinnen und Besucher wirklich über die Ausstellung denken, die sie gerade gesehen haben …

Ich würde natürlich gerne das Zentrum Paul Klee und seine Umgebung noch stärker belebt sehen. Ich habe sieben Jahre in Grossbritannien und den USA gelebt, wo manche Kulturinstitutionen, wie z.B. das Kulturzentrum Barbican in London oder das an die Universität Cambridge angegliederte Museum Kettle’s Yard Orte sind, an denen sich Menschen neben dem Ausstellungsbesuch einfach gerne aufhalten, sich treffen und austauschen, entspannen oder arbeiten. Das Projekt paul&ich ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, und das Potential ist noch riesig. Als Kurator setze ich mich dafür ein, dass im Museum auch auf inhaltlicher Ebene Zugangshürden abgebaut werden, und dass wir ein Ausstellungsprogramm machen, das ein möglichst breites Publikum anspricht. Man kann wohl nicht mit jeder einzelnen Ausstellung oder Veranstaltung allen etwas bieten, wenn man zugleich auch künstlerisch und kuratorisch Profil zeigen möchte, aber die richtige Mischung macht’s!

« Man kann wohl nicht mit jeder einzelnen Ausstellung oder Veranstaltung allen etwas bieten, wenn man zugleich auch künstlerisch und kuratorisch Profil zeigen möchte, aber die richtige Mischung macht’s! »

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