Um viele Ideen, Erinnerungen und Geschichten reicher
Es war ein bewegtes Jahr. Für unser Haus, die Kultur und jede*n Einzelne*n. In weiten Teilen ehrlich gesagt auch ein ziemlich mieses. Neben dem allgemeinen Auf und Ab war 2020 für uns aber auch geprägt von zahlreichen bereichernden und inspirierenden Begegnungen mit Menschen aus dem Quartier. Das hat viele dieser negativen Erlebnisse aufgewogen. Wir haben Anekdoten gehört, Gründungsgeschichten, und man hat uns von Träumen und Visionen erzählt. Das gab uns Antrieb.
Nach dem Lockdown im Frühling, der uns allen schlagartig verdeutlicht hat, wie wichtig der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist, sind wir zu einer Reise durch unsere Nachbarschaft aufgebrochen. Unser Ziel war es, unsere Nachbar*innen besser kennenzulernen und das Augenmerk auf lokale Treffpunkte zu richten. Sechs Monate, zehn Gespräche und unzählige Anekdoten später wollen wir diese Begegnungen Revue passieren lassen und so kehren wir, Martina und Eva, – maskiert, desinfiziert und im Sicherheitsabstand von gefühlten 100m – zu unserer Ausgangsfrage zurück: Was macht lokale Treffpunkte aus und welche Funktion haben sie? Das ist kein leichtes Unterfangen, stellen wir schnell fest. Obschon wir viele der Gespräche gemeinsam geführt haben, sind die Eindrücke, die wir dabei gesammelt haben, sehr unterschiedlich.
«Unser Stadtteil ist lebendig, bunt und extrem heterogen.»
Martina
Martina überlegt: «Gerade jetzt, über die Feiertage, die man normalerweise mit der Familie und den liebsten Menschen verbringt, hat das Jahr im Hinblick auf die Ansteckungszahlen einen neuen Tiefpunkt erreicht. Aus diesem Grund denke ich umso lieber an unsere Besuche in der Nachbarschaft zurück. In dieser Hinsicht war 2020 nämlich ein Jahr voller Geschichten von Leidenschaft, Engagement, Vernetzung, Menschlichkeit und Neugierde. Wir waren in den verschiedensten Ecken ums Zentrum Paul Klee unterwegs – im Obstberg, im Murifeld, im Schönberg-Ost-Quartier – und haben ganz unterschiedliche Projekte, Ideen und Menschen kennengelernt. Gerade in Zeiten von Corona war es umso schöner, dass diese Begegnungen stattfinden konnten und die Bereitschaft für den Austausch so gross war. Was wir herausgefunden haben? Unser Stadtteil ist lebendig, bunt und extrem heterogen. Die einzelnen Quartiere existieren als voneinander unabhängige Mikrokosmen, die sich nur schwer vermischen. Wie wir erfahren haben, hat dies historische, demografische, aber auch ganz einfach geografische Gründe. Und doch, obwohl die Projekte in den Quartieren so unterschiedlich sind, scheinen alle auf das gleiche abzuzielen: Im Kleinen etwas für die Gemeinschaft zu tun. Da gibt es den Träffer mit der Spielgruppe, dem tamilischen Mittagstisch und dem Café. Soli3006, eine Gruppe junger Menschen, die während der Coronapandemie als Nachbarschaftshilfe gegründet wurde und sich via Whatsapp-Chat organisiert. Das Goscho, wo die Musik spielt, die Nachberegruppe Obstberg, deren Geschichte bis ins Jahr 1978 oder 1979 zurückreicht, oder die Hostet Elfenau, wo jede*r mitgärtnern kann. Es sind Plattformen für Austausch und Nähe, wo Freundschaften und Gemeinschaft wachsen, Nachbarschaft gelebt wird und Kultur entsteht.»
Die Vielfalt des Engagements, welche sich vor uns im Zuge dieser näheren Betrachtung entfaltet hat, ist beeindruckend. Und so unterschiedlich die Menschen hinter den verschiedenen Initiativen, Vereinen, Projekten sind, sie engagieren sich allesamt für ihr Umfeld, haben Lust, Neues auszuprobieren und Potentiale auszuschöpfen. Wie sich in unseren Gesprächen bestätigt hat, ist der Stadtteil IV von weither gesehen sehr heterogen und schwer zu fassen, «eine Verwaltungseinheit halt», wie Katrin Bucher vom Zentrum Schönberg es treffend ausgedrückt hat. Schaut man aber näher hin, ist da so viel mehr. Die Gespräche haben uns auch bestätigt: Die Menschen sind offen und es ist vieles möglich, wenn man nur fragt. Unsere Blogbeiträge gaben Anlass zu Treffen, die sonst nicht oder noch lange nicht stattgefunden hätten, und jedes Treffen bot Nährboden für neue Ideen.
«paul&ich ist dadurch persönlicher geworden.»
Eva
Neben der persönlichen Bereicherung haben die Begegnungen auch paul&ich verändert, ist Eva überzeugt. «Anfänglich war paul&ich in grossen Veranstaltungen wie der Ideenwerkstatt gedacht. Die Begegnungen im letzten Jahr haben mich zu der Erkenntnis gebracht, dass die Qualität des Austauschs mit unseren Nachbar*innen aber im Kleinen liegt. paul&ich ist dadurch persönlicher geworden. Mit dem «ich» verbinde ich nun vielmehr Einzelpersonen mit ihren Geschichten. Ich denke dabei an Ueli, Katrin, Karin oder Stefan und weniger an «das Quartier». Spannend finde ich auch wie sich der Begriff «Treffpunkt» über die verschiedenen Portraits hinweg für mich gewandelt hat. Zum einen in seiner Bedeutung: Mir wurde bewusst, dass ein Treffpunkt nicht an einen Ort gebunden sein muss, sondern beispielsweise durch einen Quartierverein ortsunabhängig geschaffen werden kann. Der Besuch im Zentrum Schönberg hat zudem gezeigt, dass es Treffpunkte oder Kristallisationspunkte abstrakter Art gibt – mit der Vergänglichkeit etwa. Wie vielfältig die Auslegung des Begriffs ist, zeigt sich jeweils in den Vorschlägen für die nächsten Treffen. So nimmt der Verein am See das Goscho als Treffpunkt im Quartier wahr, während sich Malou und Claude als Ort mit wenig Quartierbezug verstehen. Nicht selten werden wir aber offenbar aus Neugier an einen spezifischen Ort oder zu einer Initiative geschickt. So erhält unser Vorhaben den Charakter einer Lokalexpedition und uns kommt die Rolle der Vermittlerinnen zu. Es ist nicht das erste Mal im Rahmen von paul&ich, dass sich das Zentrum Paul Klee in der Rolle der Vermittlerin oder Vernetzungsplattform wiederfindet. Vielleicht liegt da mitunter die Stärke von paul&ich.»
Für uns steht eines fest: Wir sind jetzt reicher – an Begegnungen, Geschichten, Energie und vor allem Ideen. Daher ist auch klar, dass wir unsere Expedition im neuen Jahr fortsetzen werden. Wir sind gespannt wie es weitergeht, welche Synergien sich ergeben, und welche Projekte mit unseren Nachbar*innen aus paul&ich und unseren Besuchen entstehen. Und wir hoffen natürlich, dass unsere Besuche für die Besuchten genauso eine Bereicherung waren, wie für uns.
Übrigens, wir nehmen gerne Ideen entgegen, welche Treffpunkte wir auf unserer Expedition als nächstes ansteuern sollen.
wir&paul wünschen allen einen guten Start in ein glückliches, möglichst unbeschwertes neues Jahr!